Zum Inhalt springen
sac

Allianz mit Lichtblick VW strickt das Volksstrom-Netz

Volkswagen und der Stromanbieter Lichtblick haben eine weit reichende Partnerschaft besiegelt: Gemeinsam wollen sie bis zu 100.000 Mini-Kraftwerke in Wohnhäuser einbauen, mit der produzierten Energie zwei Atomkraftwerke ersetzen - und die Marktmacht der etablierten Konzerne brechen.

Hamburg/Salzgitter - Es ist eine Energie-Allianz, die den deutschen Strommarkt nachhaltig verändern soll: Der Autobauer Volkswagen und der Stromanbieter Lichtblick haben am Mittwoch in Salzgitter eine Partnerschaft zum Bau hocheffizienter Mini-Kraftwerke unterzeichnet. Die Energie-Allianz ist weltweit gültig. Der SPIEGEL hatte schon am Wochenende darüber berichtet.

Der Plan klingt zunächst verwegen: Mit den Kraftwerken, die 2010 auf den Markt kommen sollen, wollen die beiden Unternehmen Tausende Verbraucher weitgehend von den etablierten Stromversorgern emanzipieren. Die Blockheizkraftwerke sollen in den Kellern regulärer Wohnhäuser installiert werden, um deren Warmwasserversorgung und Heizung zu regulieren. Gleichzeitig sollen die Generatoren gewaltige Strommengen in die öffentlichen Netze einspeisen.

Die Reaktionszeit der Mini-Generatoren ist äußerst schnell: "Binnen einer Minute" sollen Tausende Zu-Hause-Kraftwerke zu einem virtuellen Großgenerator vernetzt werden können, teilt Lichtblick mit. Der Schwarm-Strom soll Energielöcher stopfen, die zum Beispiel entstehen, wenn nach veränderten Wetterlagen Tausende Windräder wenig oder gar keinen Strom produzieren.

Angriff auf E.on & Co.

Das Kellerkraftwerk, bislang ein Nischenprodukt, soll durch die Marke VW massenmarkttauglich werden - und etablierten Erzeugern wie E.on in einem wichtigen Geschäftsfeld Konkurrenz machen: Bislang federn die Konzerne Leistungsspitzen im Stromnetz mit sogenannten Schattenkraftwerken ab, die nur dann aktiv werden, wenn der Energiebedarf steigt.

Die dezentralen Mini-Generatoren sollen Schattenkraftwerke nun obsolet machen - und gleichzeitig die Energieeffizienz von Haushalten deutlich erhöhen. Warmwasserspeicher in Häusern werden laut Lichtblick von den Mini-Generatoren immer dann aufgeheizt, wenn am Markt großer Strombedarf besteht. Wasser wird dadurch zum virtuellen Kurzzeitspeicher für Energie - es gibt die Wärme nur langsam wieder ab, der Verbraucher kann damit auch später noch heiß duschen. Der Strom, den das Blockheizkraftwerk erzeugt, wird indes sofort ins Netz gespeist.

Durch die Direkt-Stromversorgung wird zudem vermieden, dass Strom auf dem Transport vom Zentralgenerator in die Haushalte unwiederbringlich verpufft. Während der Wirkungsgrad eines Atomkraftwerks bei 30 bis 40 Prozent liegt, soll er bei den VW-Blockheizkraftwerken gut 94 Prozent betragen. Lichtblick-Vorstandschef Christian Friege bewirbt das eigene Projekt  entsprechend selbstbewusst als "Revolution für den Strommarkt".

Schwächen im Lichtblick-Konzept

Die Revolution der Stromnetze steht Experten zufolge tatsächlich bevor - ob allerdings ausgerechnet das Konzept der Zu-Hause-Generatoren das Mittel der Wahl ist, bleibt fraglich. Denn das Lichtblick-Konzept hat Branchen-Insidern zufolge eine klare Schwäche: Der Strom wird mit Erdgas erzeugt. "Es ist schon verwunderlich, dass ausgerechnet ein Ökostrom-Anbieter wie Lichtblick plötzlich auf konventionelle Energieerzeugung zurückgreift", sagt ein Branchenkenner.

Das Lichtblick-Konzept gehe dennoch in die richtige Richtung: Seine dezentrale Stromproduktion könne durch ihre schnelle Reaktionszeit Schwankungen in der Wind- und Sonnenenergie sehr gut ausgleichen - und so dazu beitragen, die Nutzungsmöglichkeiten von Ökostrom zu erweitern.

Langfristig, so glauben Experten, werden sich allerdings Lösungen durchsetzen, die Leistungsspitzen auch dann ausgleichen können, wenn die Elektrizität durch erneuerbare Energien erzeugt wird. Bereits jetzt werden solche Lösungen für ein schlaues Stromnetz in ganz Deutschland getestet. Bundesumwelt- und Bundeswirtschaftsministerium unterstützen zahlreiche Pilotprojekte für schlaue Stromnetze der Zukunft, einige davon verzichten ganz auf die Nutzung fossiler Brennstoffe.

In Versuchen des staatlichen Leuchtturm-Projekts E-Energy  werden neben der Warmwasseraufbereitung auch Kühlhäuser oder elektrische Autos als Energiespeicher genutzt. Das Grundprinzip ist dasselbe wie bei den VW-Mini-Kraftwerken: Strom wird dann produziert, wenn Bedarf besteht, beziehungsweise dann verbraucht, wenn besonders viel Energie vorhanden ist - etwa bei hohen Windstärken oder Schönwetterfronten.

Kühlhäuser beispielsweise werden stärker abgekühlt als nötig - das ist der Energiepuffer. Ist weniger Strom auf dem Markt, können die Geräte dann zeitweise ganz abgeschaltet werden, um Strom zu sparen. Erst wenn die Temperatur so stark steigt, dass etwa Speisen schneller verderben könnten, wird das Kühlhaus wieder angeschaltet.

Hochgesteckte Ziele

Lichtblick und VW lassen sich von dieser Konkurrenz nicht abschrecken. Sie verfolgen mit ihren Mini-Kraftwerken ambitionierte Ziele: Nach eigenen Angaben wollen sie mindestens zwei große Atommeiler oder Kohlekraftwerke durch die eigene dezentrale Energieproduktion obsolet machen.

Solche Leistungen ließen sich allerdings nur realisieren, wenn sich genug Kunden die Mini-Kraftwerke in den Keller stellen. Lichtblick und VW wollen nach eigenen Angaben bis zu 100.000 Haushalte bestücken - ob tatsächlich so viele Verbraucher eine mehrere Tausend Euro schwere Investition tätigen, die nur ein Zwischenschritt zu wirklich schlauen Stromnetzen ist, wird sich zeigen müssen.

Aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten ist das Angebot immerhin recht attraktiv: Für einen Pauschalbetrag von rund 5000 Euro wird das alte Gerät von Lichtblick-Technikern abgerissen, entsorgt und durch ein VW-Blockheizkraftwerk samt Wärmespeicher, Daten- und Stromnetzanschluss ersetzt. Der Kunde zahlt dann neben dem Grundpreis von 20 Euro ausschließlich die von ihm verbrauchte Wärme auf Grundlage des vom Statistischen Bundesamt ermittelten Gaspreisindex. Zudem erhalten Verbraucher monatlich fünf Euro Kellermiete und 0,5 Cent Bonus für jede ins Netz eingespeiste Kilowattstunde Strom. Reparaturen und Wartung übernimmt Lichtblick umsonst.

"Für Wohnungsbaugesellschaften und Hausbesitzer stehen die Kellerkraftwerke eine Investition dar, die sich über einen Überschaubaren Zeitraum gut von der Steuer absetzen lässt", sagt Holger Krawinkel, Bereichsleiter für Energiethemen beim Bundesverband der Verbraucherzentralen. Die Marke VW sei zudem ein Qualitätsgarant - und könnte Verbraucher, die ohnehin mit dem Gedanken spielen, ihre altersschwache Heizung zu ersetzen, letztlich überzeugen.